Bild

4 BE! #mimimi

Das Twix

Vier BE.
Genau 4 BE hat dieses verlockende, große, weiße, leckere Twix, das mir mein Bürokollege mitgebracht hat.

4 BE.
4 Broteinheiten.
Was bedeutet das eigentlich?

Mein altes Ich

Für mein altes Ich, den Nicht-Diabetiker bedeutete es: Nichts. Nur lecker. 75g süßes, leckeres Twix. Genuss pur. Ein Nachmittagssnack. Ein Survival-Twix für Meetings. Ein Biorhythmus-Optimierungs-Twix, kurz bevor der Kopf auf die Tischplatte fällt. Ich twixte zwischendurch. Auch mal vormittags. Oder abends. Ohne nachzudenken. Kein Problem. Nur lecker.

Und jetzt?

Mein neues Ich

Mein neues Ich dreht als erstes die Packung um auf der Suche nach den Nährwertangaben: Koh | len | hy | dra | te. Dieses Twix hat 48g davon, geteilt durch 12 = 4 BE. Und dann auch noch weiße Schokolade. So lecker sie ist, so hoch ist der Zuckeranteil und so gnadenlos schnellt dadurch mein Blutzucker nach oben. Weiße Schokolade scheint der Treibstoff für meinen persönlichen Blutzucker-Raketenrucksack zu sein. „Yeehaaaa!“, jubelt Dia-Dörte vergnügt.

4 BE

4 BE. Das entspricht etwa zwei normalen Brötchen.
4 BE. Das hat auch ungefähr mein tägliches Frühstück: 1/4 Apfel, gemopst aus der Schulbrotdose meines Großen, plus Müsli, plus Milch.
4 BE. Das sind um die 150 bis 200 mg/dl, die mein Blutzucker ohne Insulin nach oben gehen würde. Auf mehr als das Doppelte eines guten Wertes. Von einer grünen Anzeige *zack* durch den gelben, direkt in den roten Bereich, schlechtes Gewissen und manchmal Unwohlsein inklusive.
4 BE. Das heißt also: Pen auspacken, Nadel drauf, Bürotür zu, pieksen (und ja: autsch!), Nadel entsorgen, Kleidung richten.
4 BE. Ganz sicher Nichts für Meetings. („Entschuldigung, ich spritze mir mal eben Insulin. Ignoriert bitte den medizinischen Geruch; nehmt doch einfach meinen Bauchnabelflusen und spielt derweil etwas Tipp-Kick damit.“ )

Ninja-Kohlenhydrate

Immerhin verrät mir das Twix die BE. Oft genug ist das nicht so. Bei meinem ersten Post-Diagnose-Döner zum Beispiel (Dia-Dörte und ich unternahmen einen Türkei-Kurzurlaub in den Süden… Dortmunds) hab ich mich grandios verschätzt und landete — trotz Insulin — bei 360 mg/dl (3-fach so hoch wie gewünscht). Wo sich die KH versteckt hatten? Vielleicht war es der Krautsalat. Keine Ahnung. Ich nenne sie Ninja-Kohlenhydrate, unsichtbar und gnadenlos.

Bei dem All-you-can-eat-Buffet vor ein paar Tagen war es anders herum. Ich achtete schön darauf, die Kohlenhydrate wegzulassen, aß nur Gemüse, Fisch und Fleisch und stieg damit trotzdem von 105 auf 160. Ich sag ja: Ninja-KH. Für den Nachtisch (Mousse au Chocolate im Glas) spritzte ich 2 Einheiten + 1 Korrektur = … öhh… 3 Einheiten. Es war bereits 10 Uhr abends, aber darauf hatte ich nicht geachtet. Eine Stunde später waren wir zu Hause und ich bei 90 mg/dl. Etwas niedrig, gerade weil das Insulin noch mindestens 1 bis 1½ Stunden wirkte. Ich brauchte also noch ein paar KH. Genau das, was man sich nach einem All-you-can-eat-Buffet so wünscht. Außerdem konnte ich noch nicht ins Bett, weil ich nicht wusste, in welchen Blutzucker-Keller mich das Insulin noch bringen wollte.

Entspannt und unbeschwert geht irgendwie anders…

24/7

Und so geht’s jeden Tag. Was hat so eine Portion Nudeln beim Italiener? Oder die Pizza? Die Reste auf den Tellern der Kinder? Das kann man doch nicht wegwerfen! Das Stück Kuchen, die Torte oder die Rosinenschnecke beim Bäcker. Mmmmhh… sieht die saftig aus. Die paar Gummibärchen. Och komm, die paaaaar. Abends Chips oder Nüsse? Oder eben so ein leckeres Twix. Mjam!

Ja, es gibt sicher Schlimmeres als Diabetes. Und ja, im Grunde sind die Mechanismen klar, das Insulin verfügbar und es ist „nur“ Diabetes.
Nur.
Aber nur jeden Tag.
Nur jede Mahlzeit.
Nur jede Bewegung.
Nur jede Stunde.
Nur ständig.
Nur immer.
Nur im meinem Kopf, die ganze ver… Zeit. Selbst nachts. 24/7.

Und manchmal erzeugt das nur Frust.
Und manchmal reichen dafür nur 4 blöde BE aus.

Dia-Dörte lächelt auf mich herab, zieht ihr Ninja-Kostüm an und murmelt leise „Mimimi!“.

P.S.

PS: Broteinheit. Bei diesem Begriff muss ich immer an meine Besuche als Kind im Wuppertaler Zoo denken. Früher, als es das Nilpferd noch gab. Das bekam bei seiner Fütterung ein Brot. Einen ganzen Laib. Am Stück. Direkt ins Maul. In den Händen des Wärters erschien dieses Brot noch riesig, im Maul des Nilpferdes wirkte es mehr wie ein Pizzabrötchen. Das fand ich ziemlich beeindruckend. Das ist für mich eine Broteinheit. Das würde diesem Begriff gerecht werden. Nicht diese lächerlichen 12g Kohlenhydrate.

PPS: Stephan, ich habe mich trotz allem sehr über das Twix gefreut und habe es in allen Zügen genossen!

 

12 Gedanken zu “4 BE! #mimimi

  1. Michaela schreibt:

    Toller Blog und vor allem dieser Beitrag hat mich direkt ins Herz getroffen. Ich kann das so gut verstehen. Keiner merkt so richtig, wie sehr der Diabetes das ganze Leben und die Gedanken jeden Tag einnimmt.

    Jedenfalls hast du mich als Leserin gewonnen. Ich werd öfter reinschauen! 🙂

    Liebe Grüße
    Michaela

    Gefällt 1 Person

  2. Habe sehr gelacht bei diesem Artikel. Kommt mir alles seltsam bekannt vor, auch wenn es in meinem Fall schon eine Weile her ist. Auch an das Nilpferd im Wuppertaler Zoo kann ich mich gut erinnern. Schön zu sehen dass nun auch ein weiterer „Diabetes Blog “ aus dem (erweiterten) Bergischen Land kommt. Beste Grüsse vom Nachbarblog

    Gefällt 2 Personen

  3. Melanie schreibt:

    Ich habe mich so scheckig gelacht und den Post sofort meinem Mann geschickt. Der meint ja, nur ich würde mich so anstellen. „Iss doch einfach, kannst doch spritzen….“ besonders beliebt ist ja auch, nach dem Essen spontan Schokolade oder Eis als Nachtisch zu holen „auch was?!“

    Toll sind auch Kommentare wie : Steiger dich doch nicht so da rein. Schalt doch mal den Kopf aus, das kann ja nicht gesund sein. Manchmal würde ich meiner Familie gern probehalber mal eine Woche Diabetes spendieren, mal sehen, wie sie darauf reagieren. Fänd ich spannend.

    Solange man über sich selbst lachen kann ist das doch ok. Auch wenn es schon irgendwie irritierend finde. Wo man beim einkaufen früher Euro in DM umgerechnet hat, rechne ich jetzt alles von KE in Brot um und überlege mir dreimal, ob ich Schokolade oder lieber Gurke beim Fernsehen knabber( letztendlich landet beides im Wagen, der Schokolade nimmt sich dann mein Mann an).

    Manchmal reicht für den Frust auch schon eine blöde KE 🤣

    Liebe Grüße
    Melanie

    Gefällt 1 Person

    • Oh, mir kommen die Reaktionen ja sooo bekannt vor. Und die Idee, „mach doch einfach mal mit!“, kam mir auch bereits. Schon ein „ok, ich soll spritzen? Wieviel denn?“ sorgt oft nur für Schulterzucken. Erst recht, wenn die anderen Faktoren dazukommen. „Ach übrigens, es wirkt noch ein bisschen Insulin. Außerdem ist es heiß, da brauche vielleicht weniger. Und heute morgen war ich beim Sport. Und jetzt?“

      Aber zu Gurken, wenn neben mir Schokolade gefuttert wird, konnte ich bisher trotzdem nicht überwinden. ;-D

      Like

  4. HB schreibt:

    Du triffst es mit deinen Worten so was von …
    Mich begleitet das kleine „nur“ schon 20 Jahre und es nervt oft genug. Auf all den Wegen, die Du beschreibst.

    Like

Hinterlasse einen Kommentar