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#6: Teufels-Looping

DBW-2018Diabetes-Blog-Woche
— Tag 6 —

Heute: Warum ich loope oder nicht loope?

„Frau D.-D., schön dass Sie heute zu uns gekommen sind.“ — „Schön? Bei dem Thema? Das können Sie ja nun wahrlich nicht schön nennen.“

Ein Interview und Hilfeschrei

Vor uns sitzt Frau D.-D. aus S., einer kleinen Stadt am südlichen Zipfel des schönen Ruhrgebiets.

„Möchten Sie sich vielleicht erst einmal vorstellen?“

„Ja. Mein Name ist Dör… äh… nennen Sie mich einfach Frau D. Ich bin professionelle Krankheit, ausgebildet in Diabetes. Jahrgangsbeste, möchte ich hinzufügen. Aber das nutzt ja bald kaum noch was.“

„Aha. Frau D., Sie möchten auf eine Entwicklung aufmerksam machen, die Sie für sehr bedenklich halten.“

„Bedenklich? Dramatisch wäre das richtige Wort. Diese moderne Technik im Allgemeinen ist ja schon schlimm genug, aber die hatten wir bislang ganz gut im Griff. Sie wissen ja, Haftungsfragen, Studien, elendig lange Zulassungsverfahren, usw. Wir sitzen in allen Gremien. Jetzt aber kommen diese geschlossenen Kreisläufe auf den Markt, diese Closed-Loop-Systeme und die bedrohen ernsthaft unsere Existenz. Das Ausmaß ist vielen gar nicht bewusst.

„Können Sie für unsere Leser vielleicht in einfachen Worten beschreiben, was so ein Closed-Loop-System ist?“

„Teufelswerk ist das. Teufelswerk! Ach so, Sie meinten die Funktionsweise. Na gut. Closed-Loop-Systeme verbinden ein Blutzucker-Messsystem mit einer Insulinpumpe. Vereinfacht gesagt wird es dadurch möglich, die Insulinabgabe an den Blutzucker anzupassen. Etwas mehr Insulin bei hohen Werten, etwas weniger bei niedrigen Werten. Fast so wie die echte Bauchspeicheldrüse.“ — Sie hält sich die Hand vor den Mund, als würde ihr schlecht werden — „Und jetzt kommt’s: das passiert VÖLLIG AUTOMATISCH!

Ihr Kopf läuft leicht rot an. Dieses Thema scheint sie wirklich mitzunehmen.

„Verstehe. Das betrifft Sie ja auch persönlich, richtig?“

„Noch nicht. Mein Sklav… äh… Gastgeber, wollte ich sagen. Mein Gastgeber bekommt noch keine Pumpe. Remissionsphase, verstehen Sie? Seine Bauchspeicheldrüse ist ein ganz schön harter Brocken. Die wehrt sich, wo sie nur kann, aber“ — und dann lacht sie so schaurig, dass in meinem Kaltgetränk spontan zwei neue Eiswürfel entstehen — „das bekomme ich schon hin. Eine gute Diabetes-Ausbildung, wissen Sie, davon zehren Sie ein Leben lang. Bloß helfen wird das kaum. Der gute Mann interessiert sich nicht einmal für die Fertig-Systeme. Der möchte so ein Closed-Loop am liebsten selbst bauen, mit diesen Community-Projekten rund um OpenAPS und so. Wenn ich diese Gutmenschen in die Finger bekomme, diese Frau Lewis, dann… dann…

Inzwischen scheint ihr ganzer Kopf zu pulsieren. Jeder Vulkan wäre blass vor Neid angesichts dieses leuchtenden Rots.

„OpenAPS. Wo soll ich da bloß anfangen?! Das ist fast schon Blasphemie an der menschlichen Krankheitsgeschichte. Jetzt überlegen Sie doch mal, Diabetes ist doch kein Schnupfen, das ist eine ausgewachsene Autoimmun-Krankheit. Die gibt es doch nicht umsonst! Wir spielen hier in der ersten Liga, ach, was sag ich, in der Champions League der Krankheiten! Wissen Sie, wie viele Menschen auf der Welt an Diabetes erkrankt sind? Das war harte Arbeit für uns. Das haben sonst nur die Kollegen vom Krebs geschafft. Und jetzt kommen da so Menschen daher und bauen sich mir nichts, dir nichts ihre eigene Bauchspeicheldrüse nach. Mit der einfachsten Technik werden Blutzuckerkurven möglich, die sind so gerade, da wird mir regelrecht schlecht von.

Ihre Halsschlagader tritt so stark hervor, als würde ihr dort gleich ein zweiter Hals wachsen. Wenn das so weitergeht, platzt ihr noch der Kopf, denke ich und schaue mich verstohlen nach einer Möglichkeit um, Deckung zu suchen.

„Und wir. Wir werden nutzlos! All die Finessen, mit denen wir unseren Menschen das Leben schwer machen, nutzlos! So ein Loop gleicht das spielend wieder aus. Selbst die besten Tricks helfen nicht. Meine Spezialität zum Beispiel: ein bisschen wetterbedingte Insulinresistenz in Kombination mit einem ausgeklügelten Hormonmix. Etwas, das sonst jeden, auch noch so geübten Diabetiker völlig aus der Bahn werfen würde, NUTZLOS! Alles haben wir schon probiert, ein Dutzend Grippehilfsarbeiter haben wir angeheuert, Fieber, Schüttelfrost, das ganze Programm. Nichts. Und dann… dann haben wir zur ultimativen Waffe gegriffen:“ — Ihre Stimme wird zu einem Flüstern. Das nächste Wort kommt nur noch in mein Ohr gekrochen. —„Kortison. Die Kollegen von den Hautkrankheiten haben da jede Menge ekeliges Zeug auf Lager. So richtig widerlich. Warten Sie, wo hab ich denn die Fotos?“ — Schnell schüttel ich den Kopf — „Na, egal, die Hauptsache war doch, es kommt Kortison zum Einsatz. Denn wenn sonst nichts mehr half, darauf war Verlass. Kortison hat wirklich noch jeden Blutzucker ins Chaos gestürzt. Aber JETZT? NUUUTTZLOOOS!!

„Wenn ich sie richtig verstanden habe, wird ihr… Gastgeber… also ein Closed-Loop einsetzen, sobald er seine Remissionsphase hinter sich hat und eine Insulinpumpe genehmigt bekommt. Haben Sie für diesen Fall schon Zukunftspläne?“

Ihre Lippen zittern leicht, als sie antwortet. Aus Wut und Entsetzen ist Resignation geworden.

„Das ist natürlich noch nicht spruchreif, aber wissen Sie, einige von uns haben schon zu den Kinderkrankheiten umgeschult. Durch die wachsende Zahl der Impfgegner haben wir gute Chancen, da nochmal ganz groß rauszukommen.“


Das war Tag 6 der Diabetes-Blog-Woche 2018.
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#DBW2018