Ein Jahr Dia-Dörte… unfassbar, wie schnell die Zeit vergangen ist. Wie sehr dieses Dia-Ding sich ins Leben gedrängt und dort irgendwie seinen Platz gefunden hat.
Dia-Dörte, ungebetene Begleiterin, ständige Nervensäge.
Nein, nicht lieb gewonnen, aber akzeptiert.
Jahr 1: Vom absoluten Dia-Neuling zu heute.
Vor genau einem Jahr bekam ich meinen ersten Blutzuckerwert mitgeteilt und ich wurde, von einem Moment auf den anderen, zum Dia-Dötzchen. Mit einer Schultüte, voll bepackt mit Spritzen, Nadeln und Messstreifen, Büchern über Diabetes, Heftchen mit BE-Tabellen, Apps, zuckerfreien (haha!) Gummibärchen und einer Unmenge an Fragen spazierte ich wenige Stunden später aus der Dia-Praxis. Auf einmal schien alles, selbst die einfachsten Dinge furchtbar kompliziert. Diese Unsicherheit hat mich in vielen Bereichen regelrecht gelähmt.
Sport? Bitte nicht ohne Personal Trainer mit Doktor in Diabetologie.
Essen? Essen? War das überhaupt noch möglich?
Bislang war ich beim Thema Essen so unbekümmert gewesen. Essen… da war ich doch ein alter Hase. Ok, vielleicht weniger in Sachen Zubereitung. Meine Stärken sah ich mehr im Verzehr. Vier Jahrzehnte Erfahrung konnte ich vorweisen. Mit täglichem Training. Essen, ja, essen beherrschte ich mit links. Und rechts. Und wenn ich in Höchstform war, sogar mit Besteck! Gerade bei Schoki, Kuchen, Keksen …hach… wenn ich nicht aufpasste, atmete ich im Vorbeigehen auch schon mal komplette Packungen ein.
Superheldenname: „Staubsauger“.
Mit der Diagnose änderte sich das schlagartig. Auf einmal schwebte der Begriff Kohlenhydrate wie ein Damoklesschwert über jeder Mahlzeit. Anfangs überkam mich mit jedem Essen ein beklemmendes Gefühl. War ich doch gerade dabei, meinem Körper etwas zuzumuten, womit er nicht mehr umgehen konnte. Etwas, das in den letzten Monaten regelrechtes Gift für ihn geworden war. Berichte von Folgeschäden gepaart mit einer ausgeprägten Phantasie machten es nicht gerade leichter. Bilder spukten mir im Kopf herum und verdarben mir jeglichen Genuss am Essen.
Es dauerte einige Zeit, bis sich diese Mischung aus Angst und Unsicherheit anfing zu legen. Auch wenn ich wirklich versuchte mich in Gelassenheit zu üben, sorgten manchmal schon Kleinigkeiten wie ein üppig geratenes Twix für ungeheuren Frust. Rückblickend betrachtet war dieser Prozess ein bisschen wie Laufen lernen. Gleichgewicht muss man erfahren und erfühlen; das lässt sich schlecht erklären. Ähnlich war es beim Körpergefühl, beim Umgang mit Essen, mit Insulin, mit allem. Antworten auf meine vielen Fragen gab’s und doch halfen sie nicht wirklich. Die Theorie war klar, aber ich musste es selbst erleben, mich rantasten. Schritt für Schritt. Mehr als 5 Einheiten Insulin? Auf einmal?! Anfangs für mich eine echte Überwindung. Eine Pizza im Restaurant? Ohne Waage? Nie. Im. Leben. Wie sollte das funktionieren? Waren es eher 8 oder eher 15 Einheiten? Alles war so unfassbar ungenau. Dabei reichten doch zwei Einheiten zuviel aus und *zack* würde ich bewusstlos werden. Ganz bestimmt. Oder schlimmer!
Jetzt, nach einem Jahr, ist diese Unsicherheit zum Glück in weite Ferne gerückt. Einen großen Anteil daran hat der FreeStyle Libre. Je ungewisser die Menge der Kohlenhydraten ist, desto nützlicher sind die zeitnahen und bequemen Analysen, desto wichtiger ist es, auf ungewollte Abweichungen zu reagieren, zu hohen oder zu niedrigen Blutzucker zu korrigieren, bevor es kritisch wird. Kompliziertere Themen, etwa das Ermitteln eines Spritz-Ess-Abstandes, wären für mich ohne den Libre völlig undenkbar. Und so gab es inzwischen Riesenpizzen genauso wie Tortenschlachten oder All-you-can-eat-Buffets beim Asiaten. Völlig unberechenbar, aber eben „nur“ noch eine Herausforderung und nicht mehr unmöglich. Was fürs Essen gilt, gilt ebenso für alle anderen Lebensbereiche. (Fast) alles ist möglich, auch wenn die Vorbereitungen meist aufwendiger sind (wie zum Beispiel beim Schlamm-Lauf letzten Herbst).
Ja, natürlich gibt es immer noch Frust, immer mal wieder.
Weil Dinge nicht so funktionieren wie sie sollen.
Weil Spontanität und Unbekümmertheit auf der Strecke bleiben.
Weil man sich immer und ständig und dauernd um Dia-Dörte kümmern muss… die olle Kackbratze.
Dennoch das ist das Fazit meines ersten Jahres mit Typ 1 Diabetes: (Fast) alles ist möglich. Immer noch.
#Diaversary: Feiern oder nicht?
Ab und an taucht die Frage auf, ob man denn seinen Diagnose Tag, seinen Diaversary feiern sollte oder nicht. Es gibt sogar ein tolles Projekt dazu: diaversary.org. Für mich ist die Antwort ein klares Ja! Natürlich feiere ich nicht die Diagnose selbst oder meinen neuen Nebenjob als Hilfs-Pancreas dritter Klasse. Sooo knorke finde ich das dann doch nicht. Aber es ist ein weiteres Jahr — mein erstes — in dem man sich von dem Scheiß nicht hat unterkriegen lassen. Überstanden, überlebt, gemeistert.
I > ⋀ ⋁
Wir sind stärker als unsere Hochs und Tiefs und um mir das, in aller Ruhe, auch selbst nochmal klar zu machen, lasse ich es mir heute ganz besonders gut gehen. In diesem Sinne: Ein Toast auf alle Dia-Bezwinger, von Typ 1 bis Typ F, und dazu einen riesigen Dank an alle, die uns dabei unterstützen!
Auf uns!
Prost und guten Appetit! ッ
Ich habe mich kurz gefragt, ob ich das persönlich nehmen soll. Aber nö!
Respekt, Du hast Dein erstes Jahr ganz offensichtlich mit ausreichend Humor im Gepäck hinter Dich gebracht. So lässt sich die alte Kackbratze dann doch mal herab, sich für die herzlichen Grüße zu bedanken =D Lass es Dir gut gehen!
Viele Grüße aus dem Norden von Dörte (echt jetzt!), als Typ F seit etwas mehr als 4 Jahren im Geschäft
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Danke für die lieben Grüße und nein, bitte auf keinen Fall persönlich nehmen. 🙂
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