Diabetes-Blog-Woche
— Tag 4 —
Heute: Diabetes-Nebenwirkungen
„Nee, komm Dörte. Nee, jetzt gibt’s mal kein Eis. Nee, echt nicht. Ich will noch zum Sport. Wie der Zucker ist unten?! Orrr, Dörte, ich hab doch keine Zeit für sowas!„
Diabetes zu haben fühlt sich manchmal so an, als müsse man auf ein sehr müdes, sehr hungriges, sehr quengeliges Kind aufpassen. Unselbstständig auf der einen Seite, zugleich aber ausgestattet mit einem beeindruckenden Einfallsreichtum und einer außerordentlichen Kreativität, die sich nur auf eine einzige Aufgabe konzentriert: die Chaotisierung eines bis dato in ruhigen Fahrwassern verlaufenden Lebens. In Dörtes Fall: meinem Leben. Herzlichen Dank, Du undankbares Blag!
Sich darum zu kümmern kostet nicht nur Kraft, das kostet vor allem eins:
Lebenszeit!
Es ist ja nicht so als hätte ich in meinen 41 Jahren besondere Langeweile verspürt und mich nur danach gesehnt, fahl gewordenen Alltagssituationen eine neue Würze zu verleihen. Wahrlich nicht. Leider hockt mir seit letztem Jahr nun trotzdem dieses nörgelnde Etwas am Bein und sorgt in jeder Minute dafür, dass die Geschwindigkeit, mit der ich mich durch mein Leben bewege, auf Rollator-Niveau abgesunken ist.
Beispiele gefällig?
Aufwachen
Als erstes wird gemessen. Seit einigen Monaten brauche ich 1,5 bis 2,5 Einheiten, um die Morgenlatte das Morgenhoch in den Griff zu bekommen. Also heißt es aufstehen, runtergehen, Pen suchen, Nadel drauf, spritzen, Müll entsorgen und das ganze in die App eintragen. Jeden Morgen!
Essen
Einfach: Frühstück. Brötchen holen. Abwiegen. Zeitpunkt abpassen (10-20 Minuten vor dem Essen). Spritzen. 10-20 Minuten warten. Los! Ach nee, zuerst muss noch die Familie zusammengetrommelt werden. Und dann fehlt natürlich immer noch irgendwas auf dem Frühstückstisch. Etwa der Kakao aus frischer Yak-Milch oder die Erdbeer-Durian-Marmelade. Wie die ist alle? Dann müssen wir wohl nochmal eben einkaufen…
Weniger einfach: Restaurants. Wieviele Kohlenhydrate hat das Essen? Wann kommt es? Kann ich schon spritzen? Mach ich das hier am Tisch oder ist mir das vielleicht unangenehm? Nicht immer bin ich da tiefenentspannt, denn nicht jeder Tischnachbar eignet sich als stiller Zeuge dieser Nadel-in-Bauch-Zeremonie.
Noch weniger einfach: Buffets in Restaurants. Über eine lange Zeit essen? Mit jedem Gang neu entscheiden, ob man noch Hunger hat, auf was, wie viel. Pfff… mit so einer Spontanität brauche ich Dörte gar nicht erst zu kommen. Wir sind doch schließlich keine Hippies. Dörte braucht Planung!
Sport
Bei meinem ersten Training nach der Diagnose war ich echt unsicher. Das ist natürlich besser geworden, die Fragen aber sind geblieben:
Was für Sport soll es werden? Ausdauer? Kraft? In welchem Bereich ist der Blutzucker gerade? Ist noch Insulin wirksam? Wie entwickelt sich der Blutzucker während des Trainings? Muss ich zwischendurch ’ne Pause machen und was essen?
Ich persönlich fände die Idee übrigens ganz großartig, sich mal zwischendurch ’ne schön scharfe Sucuk-Peperoni-Pizza ins Fitnessstudio liefern zu lassen. Während die intensiven Knoblauch-Aromen auch bis in die letzte Ecke dringen, könnte man die Blicke mit einem selbstbewussten „‚tschuldigung, muss ’ne sportbedinge Hypo abfangen.“ kommentieren. Getraut hab ich mich das aber noch nicht…
Und danach auf der Couch? Da füllen sich die Muskeln wieder auf und saugen den Zucker aus’m Blut. Also schön aufpassen, sonst droht ’ne Hypo.
Sex
Was für Sex soll es denn werden? Ausdauer? Kraft? In welchem… ok, das war Quatsch. Aber kann man so einfach abschalten wie früher? Nein. Zwischendurch messen? Passiert. Zwischendurch Pause machen und was essen? Nicht ausgeschlossen.
Ach, ihr Schlingel, ich hör‘ schon wieder Eure Gedanken. Ja, natürlich könnte ich dann flüssigen Traubenzucker aus dem Bauchnabel… aber, nee. Und jetzt stell das Nutellaglas wieder weg. Wenn die Kinder morgen die Flecken sehen, denken die, wir hätten ins Bett gekackt und müssten so langsam ins Heim.
Alkohol
Einfach: Trinken. Dörte mag Bier. Und Wein. Und Wodka. Und… Trinken ist tatsächlich einfacher als essen. Auch wenn der Blutzucker erst einmal nach oben geht, Dörte wird schon wieder nüchtern und mit ihr kommt auch der Zucker zurück in den grünen Bereich. Allerdings hört er manchmal auch kaum auf zu sinken, denn…
Weniger einfach: Betrunken schlafen gehen. Die Leber arbeitet nach dem Motto „Alcohol first, carbs second“. Wo sonst Zucker ausgeschüttet würde, wird jetzt mit Hochdruck am Abbau des Alks gearbeitet. Das kann nach dem ein oder anderen Gläschen dazu führen, dass der Blutzucker in den freien Fall geht, weil der Zuckernachschub fehlt. Leider passiert das Stunden nach dem Genuss, also zu einer Zeit, in der man gerne mal mit leichten Karussellfahrten im Kopf ins Bett gehuscht ist und friedlich schlummert. Alkohol und schlafen ist also nicht die beste Kombination.
Zwischendurch. Immer.
Blutzucker im Blick halten. Irgendeine Schätzung kann immer daneben gelegen haben und in Richtung Unterzucker hat man einfach nicht so beliebig viel Spielraum, bis es ernst wird.
An den ganzen Kram denken. Am Anfang war ich sehr gewissenhaft. Das verliert sich… leider. Inzwischen ertappe ich mich immer mal wieder, dass ich ohne Traubenzucker oder ähnlichem unterwegs bin. Es hat mich auch schon mitten im Wald beim Laufen erwischt und das war wirklich kein schönes Gefühl. Auch den Pen hab ich schon vergessen — erst letzten Montag wieder — oder die Nadeln. Ärgerlich, aber im schlimmsten Fall ist dann nur das Essen gestrichen.
Lebensbremse
Bei all den möglichen Folgen und Nebenwirkungen, die der Diabetes so mit sich bringt, ist für mich im Moment eins besonders spürbar: die Lebenszeit, die man damit vergeudet.
Vielleicht ist meine Dörte tatsächlich weniger das quengelnde Kind, das mein Leben schlimmer drosselt als ein halbes Dutzend Bananen im Auspuff eines 3er BMWs. Vielleicht wird gerade Momo Realität und sie hat bei den grauen Herren ihre Ausbildung begonnen. Nun dreht sie mit all der Zeit, die ich verschwende eine Zigarre nach der anderen. Wenn sie so weitermacht, wird sie es bis ganz nach oben schaffen. Bei dem Gedanken fühle ich fast so etwas wie Stolz. *seufz* Meine kleine Dörte. Sie werden so schnell groß…
Das war Tag 4 der Diabetes-Blog-Woche 2018.
7 Tage.
7 Themen.
1000 Perspektiven.
#DBW2018