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#1: Diabetes, irgendwer?

DBW-2018Diabetes-Blog-Woche
— Tag 1 —

Heute: Wem würdet ihr einen Tag lang euren Diabetes geben und warum?

„Na, Dörte, ’ne Idee?“„Ja klar… DIABETES FÜR ALLE!!!1!! *Gnihihhihihi*“ Dörtes dämonisches Kichern kratzt an meinem Trommelfell wie Freddy Kruegers Fingernägel auf einer Schultafel. Selbst die Nackenhaare meiner Nackenhaare stellen sich kurz auf…

Aber so ganz fremd ist mir der Gedanke ja auch nicht. Diabetes zum Ausprobieren nannte ich das „Kennenlern-Paket“, das ich letztes Jahr liebend gerne an jeden Typ-WTF verschenkt hätte. Also mal überlegen… wem würde ich denn heute meine böse Schwieger-Dörte auf den Hals hetzen?

Kategorie 1: Die Ahnungslosen

„Diabetes? Wohl früher zuviel genascht, wa?!“
„Ach, Diabetis.“„Diabetes. Tes. Mit eh.“„Ne. Tis. Heißt ja auch DiabetTIKer und nicht DiabeTEKer. „ — …
VORSICHT! Da ist Zucker drin!!“ — „Nein?! In der Tiramisu-Torte? Wer hätte das gedacht?“ — „Aber, das darfst Du doch nicht…“
„Darfst Du das denn?“
„Darfst Du das?“
„Darfst Du?“
„Darfstu?“
„Dafu!“

Zu den generell Ahnungslosen gesellen sich noch die speziell Ahnungslosen, die aber glauben, sie hätten ein paar wirklich gute… also echt jetzt… so richtig gute Tipps parat. Denn die Cousine dieser einen Tante der Nachbarin da zwei Straßen weiter, die hatte auch mal Zucker und dann hat sie nur [bitte-passendes-Wundermittel-einfügen] und *zack* geheilt. Vermutlich irgendwas mit Zimt. Zimt geht immer. „Stimmt bestimmt!“, grinst Dörte und legt mal wieder eine Europalette Zimtstreuer in den Amazon-Warenkorb. Diese Tipps sind ein bisschen so wie die Erziehungsratschläge von kinderlosen Menschen. „Also, ich an Deiner Stelle…“ Ja, gute Idee, Du an meiner Stelle. „Dööörte, FASS!“, *zack* Typ 1 Diabetes für ’ne Woche. Das wär’s…

Kategorie 2: Die Kommentar-Trolle

Schlimmer jedoch als die Ahnungslosen aus Kategorie 1 finde ich die Idioten aus Kategorie 2: die Trolle. Aber nicht die süßen aus Herr der Ringe, die schleimig-dreckigen Racker, die so reizend ihre Knüppel schwingen. Nein nein, ich meine diese Negativmenschen, die auf jeder erdenklichen Plattform, Blog, Social-Media, einfach überall ihre giftigen Kommentare hinterlassen. Kommentare, die alles klein reden, alles schlecht reden, alles in den Dreck ziehen müssen.

Du hast eine Frage? — Hey, die wurde doch schon so ähnlich oder ganz anders 1987 gestellt. Und außerdem, das musst Du echt selber wissen. Besuch gefälligst mal ’ne Schulung!

Du hast gerade Frust? Der Zucker spielt verrückt und Du könntest einfach ein bisschen Zuspruch gebrauchen? — Pfff… nicht hier. Hat wohl schon seinen Grund, dass gerade Du das nicht auf die Kette bekommst. Bist wohl zu blöd. Ich hatte solche Probleme noch nie. Andere auch nicht. Nie! Hörst Du?! NIE!

Oder ist Dir gar was Positives passiert? Etwa ein guter HbA1C-Wert? Ein paar tolle Blutzuckerkurven? Endlich ein bisschen Motivation gefunden? — Pah! Bestimmt unterzuckerst Du regelmäßig. Und überhaupt, gute Kurven nennst Du das? Sicher hast Du nichts gegessen. Außerdem interessiert mich das einen Scheiß. Motivation… für’n ARSCH!

*knurps-knurps* „Popcorn?“. Dörte hält mir die Jumbotüte frisches, gezuckertes, warm-klebrig-duftendes Popcorn hin. Süffisant lächelnd genießt sie in ihrem Ohrensessel die negativen Emotionen, als seien sie das beste Kaltgetränk der Welt.

Trolle. Ich verstehe die Motivation dieser Menschen nicht. Es hilft nicht einmal, dass sie selbst Diabetes haben (weshalb es eigentlich auch Quatsch ist, ihnen meinen abzugeben, aber das war mir jetzt mal egal). Ist es Neid? Eigener Frust? Geltungsbedürfnis? Oder schlicht Langeweile? Ich versteh es nicht… aber toll fände ich, um es mit den Worten von Dieter Nuhr zu sagen, „Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Fresse halten.“ Wenn man keine positiven Worte übrig hat, Klappe! Wenn man sich nicht mitfreuen kann, macht nichts, aber dann hält man sich einfach bedeckt und scrollt weiter. Das wär’s…

Kategorie 3: Typ F — Familie und Freunde

„Freunde? Boah… kchchchch… Du bist ja böser als ich dachte…“, ein fieses Grinsen umspielt Dörtes Mundwinkel. „Nein, nein.“„Doch. Doch. Mach nur. Das wird ein Spaß!“ *knurps-knurps*

Nein, natürlich würde ich weder meiner Familie noch meinen Freunden meinen Diabetes an den Hals wünschen. Aber gerade weil sie uns so nahe stehen, treffen uns manche Bemerkungen unerwartet hart. Ob ein vermeintlich harmloses „Können wir (endlich)? Ich hab Hunger!“, ein „Die Verpackung? Die ist schon im Müll.“ oder ein „Schapff, möfteft Du auff noff Kekfe?“ kurz vorm Schlafengehen. Natürlich ist das nicht böse gemeint und doch kommt es uns gedankenlos vor. Dabei sollte es nicht der Kommentar sein, der uns verletzt und noch viel weniger die Person. Vielmehr führen uns diese Momente einmal mehr vor Augen, welche Spontanität und Normalität wir eingebüßt haben und das sticht mehr als man zugeben möchte.

Wie sehr uns unsere Typ-Fler unterstützen, wird einem immer mal wieder an kleinen und großen Gesten bewusst. Wie etwa in dieser einen Mittagspause, als mein Kollege ins Büro kam und mir seinen halben Wrap anbot — mit den Worten „Das sind 24g Kohlenhydrate.“ Für den einen ein einfacher Dreisatz, für mich war das viel mehr: Verständnis.

Um Verständnis ging es auch in dem großartigen Projekt von Andy, dem Freund von Saskia (diafeelings-Blog). Der schnappte sich für zwei Wochen ihr Dia-Equipment, frei nach dem Motto „Die einzige Möglichkeit herauszufinden, wie es ist Diabetes zu haben, ist wohl so zu tun als hätte man Diabetes.“ Mit allem, was dazu gehört: Kohlenhydrate ausrechnen, Spritz-Ess-Abstand einhalten, Pen benutzen, Pen vergessen, Blutzucker messen, CGM kalibrieren, Kurven auswerten. Ein tolles Projekt und eine noch tollere Geste. Chapeau!

Ich muss Dörte also enttäuschen. Meine Typ-Fler bekommen keinen Besuch von ihr, schließlich sind sie meine größte Unterstützung. Und jetzt her mit den „KEKFEN“!


Das war Tag 1 der Diabetes-Blog-Woche 2018.
7 Tage.
7 Themen.
1000 Perspektiven.
#DBW2018

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Diabetes zum Ausprobieren

JETZT NEU: Das Set „Diabetes zum Ausprobieren“ für Typ-WTF Diabetiker und die, die es werden wollen.

Wer kennt sie nicht!? Die freundlichen Menschen in unserer Umgebung, die stets ebenso hilfsbereit wie ungefragt mit guten Tipps und Ratschlägen zur Seite stehen.

Damit meine ich nicht unsere Freunde und Familie (liebevoll Typ-F Diabetiker genannt), die wirklich interessiert sind, uns unterstützen wollen, die unsere (neuen) Schwächen akzeptieren und einsehen, dass wir vermutlich schon am besten wissen, was wir tun.

Nein, ich meine die anderen, die uns fröhlich ein „iss das doch, du kannst doch spritzen“ entgegen flöten. Die uns mit aufbauenden Worten wie „lass Dein Leben doch nicht vom Diabetes bestimmen“ zurecht daran erinnern, wie einfach doch der Umgang mit dieser unheilbaren, chronischen Krankheit ist. Die uns mit wohl tuenden „sieh das einfach etwas lockerer“ oder „sei nicht so verkrampft“ jeden Frust besser von der Seele massieren, als es 12 Jahre Therapie könnten.

Vor kurzem las ich das erste Mal die passende Bezeichnung für diese Sorte Mensch: Typ-WTF Diabetiker (WTF wie… na, ihr wisst schon).

Jetzt ist es endlich soweit.
Endlich vorbei die Zeit, wo der Typ-WTF-ler nur zusehen muss.
Endlich kann er für einen Moment Teil unserer illustren Gemeinschaft werden.
Endlich gibt es „Diabetes zum Ausprobieren„, das Paket, das ihn die Welt mit anderen, mit unseren Augen sehen lässt.

Inhalt (reicht für 2 Wochen):

  • 1 Pen mit 99%-iger Kochsalzlösung. Der beigesetzte Entzündungshemmer auf Zitrussäurebasis sorgt für das gefürchtete Brennen, das uns ab und an nach dem Spritzen ereilt.
  • 1 Blutzuckersimulationsgerät, das einen typischen Diabetes-bestimmten Blutzucker-Verlauf nachbildet. Wird es mit dem Smartphone verbunden, reagiert es auf Bewegungen und Fotos (unterstützt werden Party-, Urlaubs- und Essensbilder) und fordert sofortige Reaktionen wie „messen“, „Kühlschrank plündern“ oder  „7 Min. stumm vor sich hin starren“.
  • 5 Pillen zur Unterstützung dieses einzigartigen Erlebnisses. Morgens eingenommen, treten die Symptome in den darauf folgenden 24 Stunden auf und halten für ca. 2 bis 4 Stunden an. Enthalten sind folgende Geschmacksrichtungen:
    • 1x Kopfschmerzen „Sanfte Explosion“
    • 1x Schwindel „Schützenfest“
    • 1x Sehstörungen „Stevie Wonder“
    • 1x Hypo-Simulation „Erstes Date“ inkl. Schweißausbruch und Zittern
    • 1x Hyper-Simulation „High 5“ mit realistischem Durstgefühl und leichtem Brechreiz

Wir empfehlen, die Pillen unbemerkt unter das Essen zu mischen, um dem Besitzer des Sets eine überraschende und dadurch besonders realistische Erfahrung zu bescheren.

Bestellt noch heute, denn die ersten 1000 Bestellungen erhalten GRATIS

  • 1x Panikattacke „Dr. House“ mit Angstzuständen vor den verschiedensten Folgeerkrankungen.
  • Einen Termin beim Diabetologen, der eine bevorstehende Fuß-Amputation bespricht und mit einem kurzen Operations-Video verdeutlicht. Als kleine Erinnerung darf das Quartett „Die schönsten Protesen der Welt“ mit nach Hause genommen werden.

 

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PS

PS: Zum Glück ist mir so ein richtig hartnäckiger Typ-WTF noch nicht begegnet. Wohl aber habe ich das ein oder andere Zitat bereits zu hören bekommen. Und auch wenn es sicher nicht böse gemeint war, wünschte ich mir in diesen Situationen manchmal so ein Probier-Set herbei. „Willkommen in meiner Welt!“ stände auf dem Karton und es würde helfen, eine wage Vorstellung dieser Diagnose zu vermitteln, welche Freiheiten sie kostet, welchen Raum sie im eigenen Denken einnimmt — so ungefragt und unerwünscht wie mancher Kommentar selbst.