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#3: Der 2-Komponenten-Mini-Pen

DBW-2018Diabetes-Blog-Woche
— Tag 3 —

Heute: Smarte Insulin-Pens – the next big thing?

„Na, Dörte, ’ne Idee?“„Ach, geh mir doch weg mit diesem neumodischen Kram!“

Smart. Was heißt das überhaupt? Früher, da waren die Menschen noch smart, wenn sie was in der Birne hatten. Heute ist jeder Kokolores smart, sobald es ’ne App dafür gibt oder das Ding mit diesem Internetz verbunden ist. Wohnzimmer-Funzel per App einschalten? *zack* Smart! Ich könnte auch rübergreifen und den Lichtschalter drücken, aber wo bin ich denn? In den 90ern? Nix da! Da hol ich doch lieber mein Handy raus, entsperr das kurz, such auf Seite 2… ach nee, Seite 3 die Smart Home App, klicke mich durch die Menüs und schon… ach nee… die WLAN-Verbindung ist gerade nicht da… Moment… das haben wir kurz… jetzt. *zack* Licht an. Voll smart!

Meine Kinder sind ein bisschen beeindruckt, dafür rollt meine Frau mit den Augen. Was das angeht, passen die 90er eh viel besser zu ihr, denn sie ist immer noch genau so hübsch wie 1995. Und smart ist sie auch, ganz ohne App. Wobei… so ’ne Schatzi-App… aber ich schweife ab.

Smarte Pens. Ich bin mir nicht sicher, ob ich ’ne Pen-App haben möchte oder eine Verbindung ins Internet, aber es gibt tatsächlich ein paar Dinge, die ich mir für meinen Binford 8200 Dia-Pen der Zukunft wünschen würde:

2-Komponenten-Pen für mehr Flexibilität

Mit jedem Essen überlegt man neu: wie viele Kohlenhydrate sind da drin, wie schnell wirken sie, wie sehr verzögert das Fett den Anstieg und was stellen Eiweiße und Fette in ein paar Stunden mit meinem Blutzucker an? Am Ende versucht man das alles mit genau einem einzigen Insulin zu regulieren. Wie soll ein einziges Mittel, mit genau einer Wirkkurve, das schaffen können? Genau: gar nicht! Also hantiert man mit Spritz-Ess-Abständen rum, teil sein Insulin auf, spritzt mehrmals und lebt am Ende damit, dass der Blutzucker länger in unerwünschten Bereichen unterwegs ist.

Das was die Pens nicht können, ist bei Insulinpumpen schon einfacher. Hier kann man das Insulin aufteilen und bestimmte Mengen über einen wählbaren Zeitraum abgeben lassen. Was wäre wohl, wenn man sowas ähnliches auch mit einem Pen erreichen könnte? Ich stelle mir einen 2-Komponenten-Pen vor, etwa mit 2 verschiedenen Insulinen. Ein schnelles, ein langsames. Oder vielleicht ist es auch ein schnelles Insulin, das man mit einem zusätzlichen Stoff verzögern kann. Im Pen stelle ich dann einfach neben der Insulinmenge noch die gewünschte Zeit ein und der Rest passiert automatisch durch eine geeignete Kombination aus beidem.

Size matters

Mir persönlich sind die Pens einfach zu groß. Sie passen so gerade eben in die Hosentasche und das auch nur, wenn es ein klassischer Pen ist. Diese smarten Pens mit ihrer Technik sind dafür bereits zu klobig. Warum eigentlich? Warum schleppe ich die meiste Zeit viel zu viel Insulin mit mir herum? Dass ich drei Wochen lang mit einem einzigen Pen auskomme, ist doch gar nicht nötig. Ein Pen, der nur halb so groß wäre, mit Insulin für eine Woche, würde mir vollkommen reichen. Ich könnte mehrere Pens gleichzeitig anbrechen, ohne mir Gedanken über die Haltbarkeit des Insulins zu machen.
Einer für die Arbeit.
Einer für zu Hause.
Einer für die Hosentasche.
Und dort würde der Mini-Pen dann auch viel besser reinpassen.

Multi-Pen-Nadel-Kassette

Bei den Lanzetten gibt es das bereits: eine 6-in-1-Stechhilfe, die direkt mehrere Lanzetten enthält. Für den Pen wünsche ich mir das auch: eine kleine Vorrichtung, die 6 oder besser noch 10 Nadeln beherbergt. Ich schraube sie anstelle einer einzigen Nadel auf den Pen und da kann ich sie gleich mehrere Tage drauf lassen. Trotzdem bekomme ich bei jeder Benutzung eine frische Nadel und hätte außerdem wieder ein bisschen weniger Zeugs, was ich vergessen kann.

Schmerzarm

Mimimi hin oder her, ab und an tut so eine Nadel echt weh. Muss das eigentlich sein? Wie wär’s, wenn die Spitze am Pen noch eine kleine Kühlfunktion integriert hätte? Man hält sich das Ding an den Bauch, drückt den „Bitte-jetzt“-Knopf und noch bevor die Nadel zusticht wird die Stelle einfach auf 5° Grad heruntergekühlt. Dann piept es kurz, die Nadel wird reingedrückt, das passende Insulingemisch hinterher, fertig.

Ist mein 2-Komponenten-Painless-Mini-Pen mit 10er-Nadelkassette smart, so ganz ohne App und Internetanschluss? Keine Ahnung. Aber er würde mir das Leben um einiges leichter machen.


Das war Tag 3 der Diabetes-Blog-Woche 2018.
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#2: Von Dia-Sci-Fi und Giselas Eiersalat

DBW-2018Diabetes-Blog-Woche
— Tag 2 —

Heute: Wie sieht Dein Alltag mit Diabetes in 10 Jahren aus?

„Na, Dörte, ’ne Idee? Dörte? Dööööörte?“ — Weg ist sie!

In 10 Jahren

Nein, ich fürchte, auch in 10 Jahren werde ich meine Dia-Dörte noch an der Backe haben. Leider. Aber es wird sich einiges verändert haben. Mal sehen…

*Zauber-Glaskugel-Poliergeräusch*

Neue Unternehmen
Amazon und Google werden groß in das Diabetes-Geschäft einsteigen. Das wird helfen, OpenSource-Projekte wie OpenAPS und die Bemühungen um interoperable Geräte voranzutreiben. Man wird nicht nur Blutzuckersensoren und Insulinpumpen beliebig kombinieren können, es wird auch ein Ökosystem von mehr oder weniger sinnvollen Alltagshilfen entstehen.

Ich freue mich schon sehr auf den Pearl-Katalog Frühjahr/2028. Mein Lieblingsprodukt wird die Low-Sugar-Kanone mit Infrarot-Zielsystem sein. Sie verschießt treffsicher ihren Vorrat an Traubenzucker-Bonbons (mit 0,2 KE pro Sekunde) auf alle Menschen in Reichweite mit zu niedrigem Blutzucker. Wahlweise lässt sie sich auch mit M&Ms, Gummibärchen oder Joghurt-Gums befüllen und natürlich ist sie kompatibel zu allen gängigen CGM-Systemen.

Der digitalisierte Diabetes wird auch die Versicherungen auf den Plan rufen. Sie werden spezielle Tarife und Vergünstigungen für all diejenigen anbieten, die ihre Daten preisgeben. DMP-Programme werden digitalisiert und während sich vordergründig alles um die Gesundheit dreht, ist es am Ende natürlich nur das Geld. Und wie immer, wenn viel Geld im Spiel ist, wird es sehr schwer werden sich diesem Apparat entgegenzustellen. Der Großteil von uns wird zum gläsernen Diabetiker — Datenskandale inklusive.

Nicht zuletzt auch weil…

…Künstliche Intelligenz (KI)
Meine Aktivitäten, meine Orte, mein Essen. All das wird Grundlage für neue, KI-unterstützte Therapieempfehlungen werden. Momentan erinnert mich mein Handy, dass ich bei der aktuellen Verkehrslage bald losfahren sollte, um in 2 Stunden pünktlich beim Termin zu sein. In Zukunft wird es mir empfehlen, die Basalrate auf 82% zu reduzieren, um bei der aktuellen Wetterlage das wöchentliche Ausdauertraining bewältigen zu können. Abends im Restaurant bekomme ich dann Vorschläge für einen Spritz-Ess-Abstand auf Basis der Auslastung der Küche. Die Empfehlung der Insulinmenge berücksichtigt meinen Sport ebenso wie meine Blutzuckerkurven und die Erfahrungswerte anderer Diabetiker, die hier in der Vergangenheit die gleiche Pizza gegessen haben.

Und wenn man dann auf dem Heimweg, an diesem ersten Samstag im Monat, zufällig an der Ampel neben dem Swingerclub anhalten muss, liest das Auto plötzlich die neuste Dia-Empfehlung vor. Um eine Hypo zu vermeiden, solle man doch vor dem Clubbesuch mindestens 2 KE zu sich nehmen. Das habe man auf Basis der letzten 7 Besuche des anderen Diabetikers errechnen können, der gerade mit im Auto sitzt…
„Papa?!“
Die Ampel wird grün. Ein Auto hupt.

Aber vielleicht wird es ja auch ganz anders…

Eiersalat mit Zimt

31 Juli 2031. Wir sind in der Kleingartenanlage „Am glücklichen Gleis“ in Gelsenkirchen-Nord, wo Gisela Kombaloschewski (62) gerade ihren Nobelpreis für Medizin zurück in das dunkle Eiche-rustikal-Regal legt, auf das liebevoll selbst gehäkelte Deckchen. Der fröhlichen Fleischereifachverkäuferin ist der Stolz in ihr üppig geschminktes Gesicht geschrieben. „Ich hab et schon immer gewusst! ‚Heinz‘, hab ich gesagt, ‚Heinz, iss mehr Zimt, datt hat bei der Frau Dingens, da von gegenüber, auch geholfen.‘ Aber wissen se, der Heinz, der is da eigen.“ Und dann erzählt sie uns ihre Geschichte, wie ihr vor genau drei Jahren der Zimtstreuer in den guten Eiersalat gefallen sei. „Herrjemine, können se sich datt vorstellen?! Ausgerechnet in den Eiersalat, wo Heinz doch so eigen is.“ Wir halten kurz inne, ein bisschen aus Erfurcht um diesen Moment, vor allem aber weil gerade ein Güterzug vorüberrattert. Zusammen mit dem Klirren von Omas guten Kristallgläsern stimmt er eine für die Szenerie ebenso passende wie eindrucksvolle Melodie an.
In Heavy-Metal-Konzert-Lautstärke.
Erste Reihe.
Ganz außen.
Direkt vor den Boxen.
Gisela nutzt die kurze Pause und zieht ihren pinken Lippenstift nach. Kein leichtes Unterfangen, wo doch das ganze Gartenhäuschen bebt. Es ist dasselbe Pink wie auf Giselas künstlichen Fingernägeln und den Pumps, die mit ihren breiten Füßen etwas überfordert sind. Das Pink passt so perfekt zu Gisela wie ihre Leoparden-Leggings. Und Gisela passt so perfekt in diese Kleingartensiedlung wie die fünf Gartenzwerge, die rund um den moosbegrünten Vogelteich aus Marmorimitat aufgereiht sind. Als der Zug vorüber ist, erzählt Gisela den Rest ihrer Eiersalatgeschichte. Sie versuchte zu retten, was zu retten war und erhöhte gnadenlos den Fleischwurstanteil („mit“, betont Gisela, „Bestellen se immer ‚Fleischwurst mit‘! Ohne, wissen se, da fehlt nich nur der Knoblauch, da lassen sie manchmal auch datt Salz wech.“). Und dann kam das Wunder von Gelsenkirchen-Nord: Heinz verlor seinen Diabetes. Sie konnten es erst nicht glauben und so ging es auch dem Rest der Welt. Zwei Jahre haben die Forschungen gedauert, überall auf Welt, bis auch der letzte Zweifel ausgeräumt und die Sensation perfekt war. Die Mischung aus Giselas Eiersalat, jeder Menge Fleischwurst „mit“ und einer Überdosis Zimt heilt tatsächlich Diabetes. Der Rest ist Geschichte.
Mein Blick gleitet auf das Bild an der Wand, das Gisela bei der Verleihung in Stockholm zeigt. In der einen Hand den Nobelpreis, in der anderen ein Töpfchen Eiersalat und daneben das Komitee, das merklich mit der Fassung ringt. Das Pink von Giselas Nägeln passte damals schon gut zu ihr, denk ich. Und zu ihrer Leoparden-Leggings.


Das war Tag 2 der Diabetes-Blog-Woche 2018.
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#1: Diabetes, irgendwer?

DBW-2018Diabetes-Blog-Woche
— Tag 1 —

Heute: Wem würdet ihr einen Tag lang euren Diabetes geben und warum?

„Na, Dörte, ’ne Idee?“„Ja klar… DIABETES FÜR ALLE!!!1!! *Gnihihhihihi*“ Dörtes dämonisches Kichern kratzt an meinem Trommelfell wie Freddy Kruegers Fingernägel auf einer Schultafel. Selbst die Nackenhaare meiner Nackenhaare stellen sich kurz auf…

Aber so ganz fremd ist mir der Gedanke ja auch nicht. Diabetes zum Ausprobieren nannte ich das „Kennenlern-Paket“, das ich letztes Jahr liebend gerne an jeden Typ-WTF verschenkt hätte. Also mal überlegen… wem würde ich denn heute meine böse Schwieger-Dörte auf den Hals hetzen?

Kategorie 1: Die Ahnungslosen

„Diabetes? Wohl früher zuviel genascht, wa?!“
„Ach, Diabetis.“„Diabetes. Tes. Mit eh.“„Ne. Tis. Heißt ja auch DiabetTIKer und nicht DiabeTEKer. „ — …
VORSICHT! Da ist Zucker drin!!“ — „Nein?! In der Tiramisu-Torte? Wer hätte das gedacht?“ — „Aber, das darfst Du doch nicht…“
„Darfst Du das denn?“
„Darfst Du das?“
„Darfst Du?“
„Darfstu?“
„Dafu!“

Zu den generell Ahnungslosen gesellen sich noch die speziell Ahnungslosen, die aber glauben, sie hätten ein paar wirklich gute… also echt jetzt… so richtig gute Tipps parat. Denn die Cousine dieser einen Tante der Nachbarin da zwei Straßen weiter, die hatte auch mal Zucker und dann hat sie nur [bitte-passendes-Wundermittel-einfügen] und *zack* geheilt. Vermutlich irgendwas mit Zimt. Zimt geht immer. „Stimmt bestimmt!“, grinst Dörte und legt mal wieder eine Europalette Zimtstreuer in den Amazon-Warenkorb. Diese Tipps sind ein bisschen so wie die Erziehungsratschläge von kinderlosen Menschen. „Also, ich an Deiner Stelle…“ Ja, gute Idee, Du an meiner Stelle. „Dööörte, FASS!“, *zack* Typ 1 Diabetes für ’ne Woche. Das wär’s…

Kategorie 2: Die Kommentar-Trolle

Schlimmer jedoch als die Ahnungslosen aus Kategorie 1 finde ich die Idioten aus Kategorie 2: die Trolle. Aber nicht die süßen aus Herr der Ringe, die schleimig-dreckigen Racker, die so reizend ihre Knüppel schwingen. Nein nein, ich meine diese Negativmenschen, die auf jeder erdenklichen Plattform, Blog, Social-Media, einfach überall ihre giftigen Kommentare hinterlassen. Kommentare, die alles klein reden, alles schlecht reden, alles in den Dreck ziehen müssen.

Du hast eine Frage? — Hey, die wurde doch schon so ähnlich oder ganz anders 1987 gestellt. Und außerdem, das musst Du echt selber wissen. Besuch gefälligst mal ’ne Schulung!

Du hast gerade Frust? Der Zucker spielt verrückt und Du könntest einfach ein bisschen Zuspruch gebrauchen? — Pfff… nicht hier. Hat wohl schon seinen Grund, dass gerade Du das nicht auf die Kette bekommst. Bist wohl zu blöd. Ich hatte solche Probleme noch nie. Andere auch nicht. Nie! Hörst Du?! NIE!

Oder ist Dir gar was Positives passiert? Etwa ein guter HbA1C-Wert? Ein paar tolle Blutzuckerkurven? Endlich ein bisschen Motivation gefunden? — Pah! Bestimmt unterzuckerst Du regelmäßig. Und überhaupt, gute Kurven nennst Du das? Sicher hast Du nichts gegessen. Außerdem interessiert mich das einen Scheiß. Motivation… für’n ARSCH!

*knurps-knurps* „Popcorn?“. Dörte hält mir die Jumbotüte frisches, gezuckertes, warm-klebrig-duftendes Popcorn hin. Süffisant lächelnd genießt sie in ihrem Ohrensessel die negativen Emotionen, als seien sie das beste Kaltgetränk der Welt.

Trolle. Ich verstehe die Motivation dieser Menschen nicht. Es hilft nicht einmal, dass sie selbst Diabetes haben (weshalb es eigentlich auch Quatsch ist, ihnen meinen abzugeben, aber das war mir jetzt mal egal). Ist es Neid? Eigener Frust? Geltungsbedürfnis? Oder schlicht Langeweile? Ich versteh es nicht… aber toll fände ich, um es mit den Worten von Dieter Nuhr zu sagen, „Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Fresse halten.“ Wenn man keine positiven Worte übrig hat, Klappe! Wenn man sich nicht mitfreuen kann, macht nichts, aber dann hält man sich einfach bedeckt und scrollt weiter. Das wär’s…

Kategorie 3: Typ F — Familie und Freunde

„Freunde? Boah… kchchchch… Du bist ja böser als ich dachte…“, ein fieses Grinsen umspielt Dörtes Mundwinkel. „Nein, nein.“„Doch. Doch. Mach nur. Das wird ein Spaß!“ *knurps-knurps*

Nein, natürlich würde ich weder meiner Familie noch meinen Freunden meinen Diabetes an den Hals wünschen. Aber gerade weil sie uns so nahe stehen, treffen uns manche Bemerkungen unerwartet hart. Ob ein vermeintlich harmloses „Können wir (endlich)? Ich hab Hunger!“, ein „Die Verpackung? Die ist schon im Müll.“ oder ein „Schapff, möfteft Du auff noff Kekfe?“ kurz vorm Schlafengehen. Natürlich ist das nicht böse gemeint und doch kommt es uns gedankenlos vor. Dabei sollte es nicht der Kommentar sein, der uns verletzt und noch viel weniger die Person. Vielmehr führen uns diese Momente einmal mehr vor Augen, welche Spontanität und Normalität wir eingebüßt haben und das sticht mehr als man zugeben möchte.

Wie sehr uns unsere Typ-Fler unterstützen, wird einem immer mal wieder an kleinen und großen Gesten bewusst. Wie etwa in dieser einen Mittagspause, als mein Kollege ins Büro kam und mir seinen halben Wrap anbot — mit den Worten „Das sind 24g Kohlenhydrate.“ Für den einen ein einfacher Dreisatz, für mich war das viel mehr: Verständnis.

Um Verständnis ging es auch in dem großartigen Projekt von Andy, dem Freund von Saskia (diafeelings-Blog). Der schnappte sich für zwei Wochen ihr Dia-Equipment, frei nach dem Motto „Die einzige Möglichkeit herauszufinden, wie es ist Diabetes zu haben, ist wohl so zu tun als hätte man Diabetes.“ Mit allem, was dazu gehört: Kohlenhydrate ausrechnen, Spritz-Ess-Abstand einhalten, Pen benutzen, Pen vergessen, Blutzucker messen, CGM kalibrieren, Kurven auswerten. Ein tolles Projekt und eine noch tollere Geste. Chapeau!

Ich muss Dörte also enttäuschen. Meine Typ-Fler bekommen keinen Besuch von ihr, schließlich sind sie meine größte Unterstützung. Und jetzt her mit den „KEKFEN“!


Das war Tag 1 der Diabetes-Blog-Woche 2018.
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Zerro. ZERRRO! Ja leck mich doch am Zückerli!

Neulich Samstagabend…

Ihr sitzt gemütlich im Restaurant, lümmelt euch lässig auf einem Barhocker oder steht im Gedränge einer Fast-Food-Fließbandtheke. Mit staubtrockenem Mund wartet ihr auf eure köstliche, eiskalte Coke Light. Oder „Zerrrooo!“ Egal! Hauptsache ohne Zucker.

Nach einer Weile nähert sich die Bedienung und stellt das sehnsuchtsvoll erwartete Getränk vor euch ab. Die Realität schaltet kurz auf Super-HD-Großaufnahme. Ihr schaut auf das beschlagene Glas, seht wie sich die ersten Tropfen an der Außenseite bilden, wie sie in Zeitlupe hinabperlen.
Sie sind die stummen Vorboten der Erfrischung.
Die Lusttropfen des Kaltgetränks.

Und dann… dann nehmt ihr einen ersten Schluck. Die Coke zieht eine frostige Spur, rinnt über eure Zunge, den Hals hinunter (Dörte schmettert energisch ein „Let it goo, let it goooo“ dazu) und als sie unten ankommt, scheint ihr ein leises Zischen zu hören. Dieses Gefühl lässt nicht nur eure Geschmacksknospen aufrichten — fast als wärt ihr Teilnehmer des Wet-T-Shirt-Wettbewerbs am Timmendorfer Strand, wo eine kühle Brise gerade das Publikum verzückt.

Es tut sooo gut… doch dann… stutzt ihr… der Light-Getränke-Sommelier in euch runzelt die Stirn. Habt ihr euch nur schon zu sehr an den Süßstoffgeschmack gewöhnt oder ist das womöglich gar keine Light? Haben sich da etwa ungeplante Kohlenhydrate Zugang verschafft, um euch die mühsam austarierten, errechneten Werte zu versauen?

Öhhh… und jetzt?

Ihr könntet den Verdacht einfach ignorieren und ein bisschen russisches Blutzucker-Roulette spielen. Mit etwas Glück rollen gleich 50g Kohlenhydrate durch eure Blutbahn und wem seine Werte nicht total am Arsch vorbeigehen, für den ist der Abend dann auch erstmal gelaufen.

Ihr könntet natürlich auch die Bedienung nochmal nach der Sorte eurer Aspertamschorle fragen. Hab ich schon probiert. Klappt prima.

„Ja, öhhh… ist bestimmt Light.“ — Ja. Jetzt glaub ich es auch.
Oder „Von einer geht die Welt jetzt auch nicht unter.“ — Und das entscheidet… wer?

Am Ende hilft euch das alles also genau „Zerrrooo!“ weiter. Aber mal ehrlich, was soll sie auch sonst antworten?

„Schön, dass Sie fragen. Mir ist ihr Libre-Sensor schon zu Beginn aufgefallen und da habe ich natürlich mit besonders viel Sorgfalt dafür gesorgt, dass dieses Getränk zuckerfrei ist. Danach hab ich noch spontan die enthaltenen Kohlenhydrate aller Gerichte ausgerechnet und wenn sie möchten, gehen wir gleich gemeinsam die FPE-Faktoren durch.“

Ha. Ha.
Nein, da muss es doch was besseres geben…

Neu aus dem Labor

…tadaaaa! Brandneu und siedend heiß bei eurem Versender des Vertrauens: ZER’O’NOTZERONOT_Einzeln-RW

ZER’O’NOT Sticks sehen aus wie weiße Zahnstocher und sind einfacher zu bedienen als ein Schwangerschafttest:

Reinhalten, ablesen, sicher sein.
(ins Getränk natürlich)

Die kleinen Sticks verfärben sich bei Kontakt mit zuckerhaltigen Getränken dunkelrot. Falls in der Flüssigkeit kein Zucker enthalten ist, werden sie leicht durchsichtig. Einzeln verpackt passen sie bequem in die Hosentasche und sind so die idealen Begleiter für den Abend. Natürlich sind sie lebensmittelecht und lassen sich anschließend direkt zur Zahnpflege weiterverwenden.

ZER’O’NOT (BigBox)

ZERONOT_BigBoxW-01

Sie sind Besitzer eines Restaurants oder einer Kneipe? Das einzig Helle hinter Ihrer Theke ist das Bier und weniger die Person am Zapfhahn? Dann heißen Sie uns Insulinabstinenten doch mit der BigBox der ZER’O’NOT Sticks willkommen und geben uns die Sicherheit, die wir verdienen. Die BigBox enthält 250 Sticks und lässt sich zudem auch mit dem Logo oder Schriftzug Ihrer Schänke bedrucken.

Bestellungen gehen wie schon beim Erfolgsprodukt Diabetes zum Ausprobieren an die Mail-Adresse

diadoerte [at] renevoss [punkt] de

Disclaimer und andere Life-Hacks

Sorry, leider ist das doch wieder nur eine Produktidee und nicht wirklich zu kaufen. Verklagt mich also bitte nicht, weil ihr einen 50,- € Schein in die Mail gepackt habt und nun auf die Ankunft des Pakets wartet.

Was gäbe es für echte Alternativen? Ich weiß, dass manche ihr Blutzucker-Messgerät für genau den Zweck nutzen. Ansich ’ne coole Idee, wenn es denn immer funktionieren würde. Manche verwenden auch Keton-Messstreifen, da die in den meisten Fällen auch den Zucker anzeigen. Wirklich zuverlässig ist beides nicht, aber vielleicht habt ihr ja noch andere Ideen für passende Life-Hacks…

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To motz or not to motz

Kennt Ihr das? Dieses hin und hergerissen sein zwischen übler Laune und der inneren „Think positive!“-Bewegung. Als ob da gerade ein Tauziehen um den eigenen Gemütszustand stattfinden würde (mit mir als Tau). Auf der linken Seite wird Grumpy Dörte angemoppert: „Boah, gehst Du mir auf den S…enkel! Nicht EINMAL kann man Dich alleine lassen. Nicht EIN-MAL!“, während von rechts ein rosa Einhorn durchs Bild reitet und farbenfrohe Gute-Laune-Banner hinter sich her zieht; darauf Sprüche wie „Ach, komm, könnte schlimmer kommen! *zwinkersmiley*“ und „Kopf hoch, meckern hilft doch auch nichts! *keckerkussmund*“

„Es gibt ja auch Schlimmeres als Diabetes.“

„Herrrrrzlich Willkommen meine Damen und Herren bei der Olympiade der schlimmsten Krankheiten dieser Welt. Im gemischten Doppel treten an: aus einem kleinen Dorf am südlichen Ende des Ruhrgebiets, unscheinbar wie ihre Krankheit selbst, der Nerd mit seiner Diaaaaa-Döörteeeee. Aber, seien wir doch mal ehrlich, mit ihrem harmlosen Typ 1 Diabetes werden sie kaum die Vorrunde überstehen. Da gibt es wahrlich Schlimmeres…“

Ob man nun will oder nicht, an diesem Krankheiten-Vergleichs-Wettbewerb scheint man ganz automatisch teilzunehmen und immer wieder trifft man auf den nächsten Teufelchen_300x400Kommentator. Selbst in meiner kurzen Dia-Laufbahn habe ich dieses „Gibt Schlimmeres, woll?!“ etliche Male anhören dürfen. Klar gibt es „Schlimmeres“. „Tot sein“ zum Beispiel. So wie der Typ mir gegenüber, wenn er nicht bald seine Klappe hält. „Weißt Du überhaupt, was das heißt?!“, fahre ich ihn an. „Bei allem, was man tut, darauf achten zu müssen. Bei ALLEM! Vor dem Essen? Diabetes! Danach? Diabetes! Sport? Diabetes! Schlafen? Diabetes! SEX?! DIA-FUCKING-BETES!“. Überzeugende Aufklärungsarbeit? Kann ich! Naja… zumindest in meinem Kopf… in Wirklichkeit bin ich still oder hebe maximal ’ne Augenbraue.

Dem einzigen, dem ich diesen Gedanken ab und an zugestehe, ist mir selber. An diesen Katastrophen-freien Tagen, an denen die Blutzucker-Kurve einer grünen Wiese gleicht und alles zu funktionieren scheint. Da sehe ich Dia-Dörte und mich, wie wir Hand in Hand in den Sonnenuntergang hüpfen, fröhlich pfeifend, in wehenden Sommerkleidern (das mir erstaunlich gut steht). Keine Zuckerberge oder Hypo-Täler in Sicht, alles fühlt sich so kinderleicht an. Druck? Folgeerkrankungen? Ach was! Wie gut, dass ich nur Diabetes habe und nichts Schlimmeres…

„Ach, dann bist Du gut eingestellt?“

Auch so ein Klassiker. Ja, oft sieht die Kurve gut aus. Aber das liegt nicht daran, dass ich irgendwelche Schrauben hätte, die irgendwer nur richtig justiert hat („Eher mal festziehen wär gut, gerade die lockeren da drüben.“, haucht mir Dia-Dörte ins Ohr).

„Gut eingestellt? Klar, läuft.“ Souveränität ist schließlich mein zweiter Vorname.
(läuft, manchmal rückwärts und bergab, aber wieso sollte ich das meinem Gegenüber auf die Nase binden?!) „Gut eingestellt“, das hört sich so nach Automatik an. So nach Diabetes-Tempomat.

95 mg/dl, <klick>, läuft.

Für mich und die meisten anderen noch Zukunftsmusik. Diabetes heißt: Schaltgetriebe, ein Steuerknüppel der klemmt, ein Organ das leider nicht mehr durch den TÜV käme und hinter jeder Kurve lauert das nächste Hindernis. Und nein, das ist kein Abenteuer.

Das. Ist. Anstrengend!

Wie anstrengend, wie sehr das an einem zehrt, die Gedanken an die Risiken und Folgen, was das ständige Beobachten, Rechnen, Schätzen, Korrigieren für eine Kraft kostet, dass man irgendwann nicht mehr will, nicht mehr kann… wer möchte das schon zugeben, wo es sich doch so sehr nach Schwäche und Aufgeben anhört?

„Mimimi?“

kommt es von links und diesen verächtlichen Tonfall hat sie echt gut drauf. Aber vielleicht hat sie recht. Jammern und aufregen hilft ja doch nicht…

Positiv denken, verf…lixt nochmal!

Da gibt es dieses Zitat,

„Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch.“

das so fürchterlich kitschig klingt, dass es direkt aus der Facebook-Meme-Hölle emporgestiegen sein könnte. Geschrieben in Comic Sans. Farbton: Glitzer! Aber manchmal… manchmal kann ich den Spruch nachempfinden. War die Diagnose ein Grund zur Freude? Sicher nicht. Aber hat der Diabetes nicht auch seine guten Seiten? Esse ich nicht viel bewusster? Viel weniger Süßes? Vielleicht sogar gesünder? Irgendwie schon. Warum sich also nicht einfach (haha!) über die paar positiven Dinge freuen?!

Während ich das schreibe, schaue ich glücklich und verträumt nach oben und sehe Engelchen_300x400meine Gedanken an all die schönen Diabetes-Errungenschaften in funkelnden Seifenblasen hoch Richtung Regenbogen schweben… <platz>… bis Dia-Dörte neben mir anfängt <platz> mit ’ner Zwille Traubenzucker-Bonbons nach ihnen zu schießen. „Freuen? Sag mal, RAUCHST Du den Traubenzucker inzwischen? Was kommt als nächstes? Amputations-Partys, wenn man ein Bein verliert? Endlich Wunschgewicht?! Juchu, nie mehr joggen?!“

Und so streiten sich Motz-Dörte und das rosa Einhorn nicht nur um die Frage, ob man gerade gute oder schlechte Laune hat, sondern vor allem darum, ob man beides zulässt. Dieses „Positiv denken!“ ist schon großartig, aber wenn es die Antwort auf jedes, noch so kleine negative Gefühl ist, ist es weniger zugesprochener Mut, sondern eher ein erhobener Zeigefinger. Ein Zeigefinger, der einem die Schwierigkeiten klein redet und die Probleme nicht mehr zugesteht.

„Hey, jetzt merkel hier nicht so rum. Mundwinkel nach oben!“

Nä!!

Time to motz! Sometimes.

Es gibt auch Zeiten der schlechten Laune. Da habe ich keine Lust mehr, hasse all den Aufwand, den der Dia mit sich bringt, all die Einschränkungen, all die verlorenen Freiheiten. HASSE es! Dann bin ich sauer und genervt und ja, sicher gibt es Schlimmeres, aber das ist mir in den Momenten herzlich egal. Dann motze ich mit Dia-Dörte um die Wette und das ist auch völlig okay so! Und wehe, dann kommt einer dieser sympatischen Mitmenschen um die Ecke mit einem „Ach, komm, ist doch NUR Diab…“ <kettensägengeräusch>

Zum Glück bin ich irgendwann leer-gemotzt und dann dreh‘ ich auch wieder ’ne Runde auf dem rosa Einhorn… in meinem Sommerkleid.